Saša Stanišić und sein neues Hörbuch »Wolf«

Saša Stanišić

»Wolf« ist ein Versuch, Worte zu finden für etwas, was so schlimm ist, dass es fast keine Worte möglich macht.

Saša Stanišić

»Wolf«

Saša Stanišić über Bullying – ein Hörbuch, das Mut macht

Saša Stanišić entwirft in »Wolf« eine nuancierte Geschichte über Bullying unter Jugendlichen. Poetisch pointiert und mit subtilem Humor erzählt er von Kemi, der in ein Feriencamp fahren muss, wo er Zeuge anhaltender Spannungen und Machtspiele innerhalb der heterogenen Gruppe wird. Im Fokus der Bullys steht sein Mitschüler Jörg. Kemi registriert ohne Weichzeichner, was die anderen Jörg antun und wie sich die Stimmung in der Gruppe zuspitzt. Als der Konflikt zu eskalieren droht, erscheint auch noch der Wolf. Bloß ein Traum – oder doch nicht? Kemi und Jörg müssen mit ihrem Wolf zu leben lernen, und das verlangt Mut: für sich und für andere.

Ein meisterhaft erzähltes Hörbuch darüber, wie wenige Schritte es sind vom Anderssein zur Ausgrenzung.

Nach zwei Kinderbüchern für Jüngere präsentiert Saša Stanišić jetzt einen Roman, der sich an Pre-Teens richtet: »Wolf. Ferienlager im Wald« hat er erneut selbst eingelesen – mit rollendem R und wie immer überaus sympathisch. Gebannt verfolgen die Hörer die Ausgrenzung, aber auch das Aufbegehren zweier Jungen in einem Sommerferienlager.

Börsenblatt

Im Interview hat uns Saša Stanišić erste Einblicke in sein neuestes Werk gegeben.

 

»Wolf« ist dein erster Roman, der Kinder ab 11 Jahren anspricht – und damit auch dein erstes längeres Hörbuch für junge Hörer*innen. Was hat dich dazu bewegt, diesen Roman zu schreiben ?

Saša Stanišić: »Wolf« ist eine Geschichte, die ich schon lange mit mir trage. Sie hat ihren Ursprung in meiner eigenen Schulzeit. Wie Kemi war auch ich für längere Zeit Zeuge von Mobbing an meiner Schule. Und ähnlich wie er habe auch ich nichts gesagt, bin dem Opfer nicht zur Seite gestanden. Man trägt aber als Mitschüler eine Verantwortung, niemanden in Stich zu lassen, und man ist auch nie bloß passiv beteiligt, sondern eben – beteiligt. Dreißig Jahre habe ich nun also gebraucht, um einen Zugang zu finden zu alldem, und um die Ereignisse von damals fiktional aufzuarbeiten. Wobei, was heißt schon „aufarbeiten“? »Wolf« ist eher ein Versuch, etwas zu erzählen, das so schlimm ist, dass Worte dafür fast zu wenig sind.

Wieso eignet sich das Ferienlager-Setting besonders gut dafür, Themen wie Gruppenzwänge, Bullying und die Ängste von Heranwachsenden zu transportieren?

Saša Stanišić: Das Ferienlager war für mich die einzig sinnvolle Form, diese Geschichte zu erzählen: Nämlich diese Kinder aus ihrem gewöhnlichen Kontext der Schule an einen Ort zu versetzen, wo sie noch mehr aufeinander angewiesen sind, wo es darum geht, sich auch körperlich in der Natur zu bewegen, zu benehmen, zu erleben, gemeinsam als Kollektiv, als Gruppe. Dort zeigen sich Machtspiele und Strukturen noch deutlicher, das Mobbing ist oft noch schwerwiegender, vor allem weil die Betreuer die Kinder noch nicht so gut kennen.

Ich verlagere also meine Erinnerungen in ein anderes Setting und erzähle eine Geschichte von einem talentierten Jungen namens Jörg, der wunderbar zeichnen kann, der in seiner Welt, in seinem Wahrnehmen der Welt, ein zarter, sensibler Junge ist, der gerne wandert und Dinge erlebt, die eigentlich auch andere Jugendliche in seinem Alter gerne machen. Allerdings wird ihm das erschwert, und zwar so erschwert, dass er sich wirklich quält. Ihm wird das Leben zur Hölle gemacht. Ich erfinde dafür auch ein Wort: Jörg wird ANDERSIG gemacht. Mir war auch wichtig, ihn nicht als jemanden zu erzählen, der anders ist, sondern als jemanden, der eigentlich mit dem, was er ist und wie er ist, ANDERSIG gemacht wird. Er wird zu einem Außenseiter gemacht, zu jemandem, der zu einem Opfer wird.

Der Wolf ist ein wichtiges Symbolbild in deinem Hörbuch. Wofür steht er?

Saša Stanišić: Der Wolf taucht das erste Mal in einem Traum von Kemi auf und ist eine bedrohliche Tiergestalt, die sich in der Hütte bewegt, in der auch Kemi und Jörg schlafen. Dieser Wolf scheint zunächst nicht echt zu sein. Das glaubt man so lange, bis sich herausstellt, dass auch Jörg diesen Wolf sieht. Dieser Wolf verändert im Laufe der Geschichte seine Gestalt: Je weiter die Ereignisse im Ferienlager fortschreiten, desto mehr wird der Wolf von einer aggressiv wirkenden Figur zu einer zuerst ängstlichen, dann sogar vertrauten Figur.

Ich habe mit dem Symbolbild Wolf versucht, Bilder für das innere Leben von Kemi und Jörg zu finden. Wölfe, wie wir sie kennen, sind eigentlich Rudeltiere, werden dem Menschen nicht gefährlich, bewegen sich auch abseits der Wege. Indem wir den Wolf in Geschichten hineinlassen, laden wir ihn auch als eine Figur ein, die in Märchen und Fabeln oft negativ besetzt ist. Bei mir allerdings nicht, bei mir ist der Wolf irgendwann sogar Beschützer.

Saša Stanišić wurde 1978 in Jugoslawien geboren und lebt seit 1992 in Deutschland. Seine Bücher wurden in über dreißig Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Jajaja, aber was heißt das schon? Preiselbeeren sind leckerer als Preise. Außerdem waren das Erwachsenenbücher. Was zählt, ist für Kinder. Und für Pandas. Das hier.                
Stanišić schläft und arbeitet in Hamburg. Er kann (schlecht) Gitarre spielen.