Hörbuchtipp

Anika Decker: »Wir von der anderen Seite«

05.10.2023

Ein Hörbuchtipp von Janne Meincke (Lektorin)

Girlfriend in a coma, I know, I know, it’s serious!

Zugegeben: Mit The Smiths-Zitaten kriegt man mich sofort. Vor allem, wenn sie so herrlich selbstironisch platziert werden wie von Anika Decker, die diesen Ohrwurm ihrer Protagonistin Rahel Wald einsetzt, als diese aus dem Koma erwacht. Aber auch davon abgesehen merkt man schnell, dass es sich hier um etwas ganz Besonderes handelt: Anika Decker verarbeitet in ihrem Debütroman vieles, was sie selbst erlebt hat, und schafft wahnsinnig sympathische und glaubhafte Figuren, die man am liebsten im eigenen Leben hätte. Rahels Schicksal dann noch von Katja Riemann vorgelesen – oder vielmehr vorgespielt – zu bekommen, ist ein wahrer Genuss!

Obwohl Rahel – wie ihre Schöpfern Anika Decker – erfolgreiche Drehbuchautorin von Komödien ist, ist an ihrer Geschichte eigentlich nichts Komisches. Rahel erwacht aus einem Fiebertraum und weiß nicht, was mit ihr passiert ist, weiß nicht, warum der Arzt von einer Medikamentensucht spricht, weiß nicht, wie schlecht es wirklich um sie stand und steht. Doch mithilfe ihres Talents, alles mit Humor zu nehmen, und ihrer etwas verrückten, aber sehr liebenswerten Familie will sie sich von der anderen Seite zurück ins Leben kämpfen. Was leicht zu deprimierend oder zu klamaukig werden könnte, löst Anika Decker ganz hervorragend: Bevor es zu traurig wird, hat jemand wieder einen lockeren Spruch auf den Lippen, ohne den Ernst der Lage ganz verpuffen zu lassen oder an Authentizität zu verlieren.

Und auch wenn immer eine ordentliche Portion herrlicher Sarkasmus und Witz mitschwingt, stecken in dieser zehnstündigen Lesung so viele wichtige Themen, dass einem manchmal ganz schwer ums Herz wird – direkt danach aber schon wieder ganz leicht, weil man sich so verstanden fühlt und Anika Decker immer genau den richtigen Ton trifft. Es geht darum, zu erkennen, was im Leben wirklich zählt, wer in Extremsituationen zu einem hält, aber auch um Sexismus in der Filmbranche und darum, sich als Frau nicht kleinmachen zu müssen (oder zu lassen).

All das ist schon großartig. Doch noch besser wird es durch die grandiose Interpretation von Katja Riemann, die beweist, dass sie zu Recht eine der erfolgreichsten und vielseitigsten Schauspielerinnen des Landes ist. Jeder Schmerz, jede Träne, jede Panikattacke, jedes Augenzwinkern, jedes Lallen und jeder Witz werden von ihr so perfekt umgesetzt, dass man beim Hören meint, alles selbst zu fühlen. 

Ein wunderbares Hörbuch, das Mut macht und glücklich, an den richtigen Stellen nachdenklich und wütend und einen mit dem Gefühl hinterlässt, alle Figuren (und Anika Decker und Katja Riemann) in den Arm nehmen zu wollen.

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