Andrea Sawatzki

Sawatzki

„Es könnte ratsam sein, sich den Geistern seiner Kindheit zu stellen. Die verschwinden nämlich nicht von allein.“

Andrea Sawatzki

Sie haben Ihre Geschichte selbst geschrieben und ihr nun auch Ihre Stimme verliehen – dadurch entwickelt »Brunnenstraße« noch einmal eine besondere Kraft. Wie haben Sie das Einsprechen Ihrer eigenen Geschichte wahrgenommen?

Andrea Sawatzki: Es ist schwieriger, die eigenen Texte einzusprechen, weil beim Lesen natürlich die „Kontrolllämpchen“ glühen. Ich finde währenddessen immer noch einige Ungereimtheiten im Text, die dann vom Verlag korrigiert werden müssen. Merkwürdigerweise bemerke ich jene Fehler nur, wenn ich den Text laut lese und da das beim Einlesen des Hörbuchs das erste Mal passiert, kann ich mich währenddessen nicht gerade entspannt zurücklehnen.

Die »Brunnenstraße« ist mir inzwischen sehr vertraut, da ich mich mit dem Schreiben meiner Geschichte schon seit dem ersten Roman »Ein allzu braves Mädchen«, also seit mehr als zehn Jahren, intensiv befasse. Ich sehe zwar die Bilder genau vor mir, bin mit der Geschichte und mir aber mittlerweile im Reinen. Das ist wichtig, um dem Zuhörer das Geschehen möglichst neutral und ohne eigene Befindlichkeiten nahezubringen.

Welche Botschaft möchten Sie den Hörerinnen und Hörern mit »Brunnenstraße« auf den Weg geben?

Andrea Sawatzki: Ich habe ein Buch geschrieben, das mir am Herzen liegt. Da geht es mir nicht in erster Linie um Botschaften, das steht mir nicht zu. Aber sagen kann ich, dass es eventuell ratsam sein könnte, sich den Geistern seiner Kindheit zu stellen. Die verschwinden nämlich nicht von allein.

Meine Romane »Ein allzu braves Mädchen« und »Der Blick fremder Augen«, die im Grunde als Psychostudien im Krimiformat betrachtet werden können, ging es übrigens um das gleiche Thema. Die unbehandelten Kindheitstraumata. Verdrängung führt nicht unweigerlich dazu, dass es im Leben heller wird. Im Gegenteil. Damals kamen so viele Menschen auf mich zu und sagten, dass sie nun den Mut finden würden, sich mit den dunklen Seiten ihrer Kindheit zu befassen. Das hat mich darin bestärkt, an dem Thema weiterzuarbeiten und es zu „präzisieren“, wenn man so will.

Dann ist der Roman quasi ein Kammerspiel einer kleinen Familie. Der Untergang dreier Menschen, die sich auf ein glückliches unbeschwertes Familienleben gefreut hatten und aufgrund einer Krankheit alles verloren haben. Vor allem den Glauben an sich selbst und an ihre Nächsten.

Ich arbeite seit Jahren mit der Stiftung „Ein Platz für Kinder“ zusammen. Diese Stiftung kümmert sich um Kinder im Alter von wenigen Monaten bis zu zwölf Jahren, die aus zerrütteten Elternhäusern kommen. Mit Hilfe von Spendengeldern werden in den größeren deutschen Städten Häuser erbaut, in denen die Kleinen erst mal Sicherheit und Geborgenheit, medizinische und psychologische Hilfe erfahren. Kinder können sich nicht allein helfen. Sie sind auf uns Erwachsene angewiesen, darauf, dass wir die Augen aufhalten und helfen, wenn etwas im Umfeld merkwürdig erscheint. Die Eltern sind oftmals überfordert. Die Kinder akzeptieren ihr Zuhause, weil sie es nicht anders kennen und weil sie ihre Eltern niemals verraten würden. Diese Biografien sind andere als meine eigene. Und trotzdem wären diese Eltern sicher auch andere Menschen, wenn sie mit ihren Problemen zurechtkämen und Hilfe von außen erfahren würden.